plaetzchenwolf - Der Krämer 4. Teil



Vivarium Seite 3


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Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter.
Der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen.

Albert Schweitzer

***

Es war Sonnenaufgang an einem Frühlingstag, als es an die Gaststubentür klopfte-
leise, fast schüchtern, nicht so fordernd und heftig, wie das die Gäste sonst taten..
Da stand eine junge Frau - ihre Kleidung verriet den Zustand -
ohne Zweifel, sie war schon hoch in den Wochen.
Mit zwei Taschen bepackt, zwängte sie sich durch die Tür:
Frau Wirtin, ich bin die Marga..
Bleich stand die Irme da - "Oma" schoß es ihr durch den Kopf- komm doch herein und setz dich!
Ich mache dir schnell eine warme Suppe, dann können wir reden.

Meine Eltern wohnen im Gesindehaus beim Kurz-Bauern,
nur eine Stube und zwei winzige Kammern - es sind arme Leute -
dort kann ich nicht bleiben, sagte sie leise.
Knecht-Leute haben keinen Willen zu haben,
fordern können sie von ihrem Herrn nichts.

Die Marga war, wie ihre Eltern, einfach, aber nicht unansehnlich,
vielleicht etwas klein geraten, aber aufrecht im Wesen.

So hockte sie ein wenig jämmerlich in der Gaststube,
ein bemitleidenswerter Anblick einer Obdachlosen oder Rausgeschmissenen,
die ohne elternliche Unterstützung auf Betteln aus war?
Die Eltern waren einfache Leute, die sich nicht trauten,
nicht wollten oder die Tochter nicht einmal begleiten durften.
Damals war Dienstbotenschaft keine Sache, bei der man Forderungen oder auch nur Wünsche stellen durfte!

Die Marga hatte nur die beiden Taschen, mehr nicht?
"Ich kann helfen und mit anpacken", sagte sie in die Küche zur Irme-
Das hätte in deinem Zustand gerade noch gefehlt,
warte bis der Erwin nach Hause kommt, - na - dem werde ich was erzählen..

Doch als dieser durch die Tür trat, waren die Ereignisse ganz anders.
Herzig begrüßt, als hätte er von Margas Ankunft gewußt,
begann er gleich der Irme zu erklären:
Ich habe schon alles in meiner Wohnung klar gemacht, wir gehen also gleich nach "drüben".

Irme schluckte, wenn man älter wird, dauert es immer ein wenig, bis man sich neu orientiert hat..

Der ansehnliche Allmende-Hof, auf dem Margas Eltern Knechte waren,
lag weit außerhalb- dennoch war der Kurz-Bauer,
vom Landesherren zum Schultheiß gemacht worden.
Damals wurde immer der Wohlhabendste genommen, weil er dafür haften mußte, daß der Zehnt,
die Abgaben an den Herren sorgfältig abgeführt wurden, diesem nichts entging,
was auf Feldern und Höfen und den Häusern geschah.
Mit diesem Manne wird die Geschichte der Wirts- und Krämerfamilie nichts zu tun haben,
der Kurz-Bauer hat sich weitestgehend zurück gehalten, er hatte mit seinem Anwesen genug zu tun.
Der Kurz-Bauer trug die Nase auch so hoch, daß sich nicht einmal seine Frau um solch niederen Dinge kümmern mußte.
Die Knechtsleute waren nicht die einzigen Bediensteten auf diesem Hof, da gab es noch einige mehr,
der Hof und seine lebenslangen Pächter wollten für sich sein und bleiben.

Dafür war der Pfarrer um so interessierter an allem,
er wollte stets gefragt werden und er mischte sich auch bei allen Dingen ein- er hatte eine richtige Zuträger-Schar,
die regelmäßig zur Beichte und in den Frauenkreis ging.
Diese Frauen waren selbst in den Spinnstuben gefürchtet- man fing gleich an zu flüstern, wenn diese irgendwo auftauchten.
Diese Frauen hatten kleine Posten in der Gemeinde, mal als Küsterin,
mal als Haushaltshilfe beim Pfarrer, mal als Zugehefrau,
andere verteilte Blätter der Kirche oder half bei Taufen und Hochzeiten mit.
Wer sich mit diesen Frauen gut stellte, hatte es leichter mit der Kirche und hatte als Geschäftsinhaber
ein leichteres Spiel oder zumindest weniger Schwierigkeiten.

Die Marga war also buchstäblich mutterseelenallein und traf in die neue Familie ziemlich unvorbereitet ein.
Die Zeit der Schwangerschaft vertrieb sie sich mit Anna, die ihr lesen und schreiben beigebracht hat,
denn zur Schule konnte die Marga nur selten gehen, immer war auf dem großen Allmendehof etwas zu helfen.
Und eigentlich hat das Mädchen keiner beachtet, es mußte helfen, wie auch die Eltern ihr Gewerk hatten.
Der Gutsherr hat sie als zusätzliche - kostenfreie - Hilfskraft angesehen.

Die Zeit der Niederkunft kam, die Hebamme auch- das Kind jedoch war nicht lebensfähig,
wie man damals sagte.
Lange Zeit brauchte die Marga, bis sie wieder auf den Beinen war,
sie ist dem Tode gerade mal so von der Schippe gesprungen und wäre die alte Kraeuterfrau nicht gewesen,
die eine heruntergekommene Behausung in Sichtweite des Gasthauses, auf der gleichen Straßenseite, bewohnt-
wer weiß, wie die Sache dann ausgegangen wäre!

Der Erwin hielt zur Marga, das tat ihrer Liebe keinen Abbruch.
Nach der Zeit der Genese half sie bei der alten Kräuterfrau,
ihrer Lebensretterin, den Hof zu führen,
damals war praktisch jeder ein Bauer, wenn auch ein sehr kleiner..
Als Lohn gab es Eier, Milch und Butter - von den zwei Kühen und paar Ziegen, die jene Alte hatte.

Marga machte ihr die Besorgungen und wusch und kochte oder brachte aus dem Gasthof ein warmes Essen vorbei.
Die Katzen, die sich bei solchen Begebenheiten immer einstellten,
liefen immer hin und zurück den Weg über den schmalen Pfad mit,
der über die beiden Grundstuecke führte- praktisch, daß sie direkt angrenzten!
Sozusagen nach "hinten raus" waren sie Nachbarn, die Alte und die Gastwirt/Krämer/Familie,
die eigentlich nur ein Torso war, zumindest in den Augen der Tratschtanten, nach "hinten gehen"
hieß immer hinter das Haus über die Wiesen gehen-
links und rechts des Gasthofes waren nur dürre Wäldchen oder besser ein "Knick", ein Hauwäldchen,
der die Wiesen und Felder vor dem argen dauerhaften Wind im Westerwald schützen soll.

Zwei, vielleicht drei Reihen wild durcheinander wachsende, etwas windschiefe Bäume verschiedener Art,
dann kam die fein geschotterte Straße, wie sie damals und noch lange hinterher im Westerwald üblich waren
und dann wieder Wiesen und ein Hof, dann Steine, etwas Wald und wieder Wiesen,
so weit das Auge blicken konnte..
Von den nahen Höhen konnte man in der Ferne zwei andere kleine Orte sehen, die etwas im Tal lagen.

Diese wichtige Straße zwischen Limburg und dem Siegerland war eigentlich recht gut befahren und begangen, viele gingen die Strecke zu Fuß.
Mehr war da nicht, in diesem Ort des Geschehens, wenn man vom nahen Dorf mal ein wenig absieht:
Die Leute waren "streng" katholisch, sie gingen jeden Morgen zur Mette, zumindest die Frauen.
Die Männer hatten alle irgendwelche Ausflüchte,
so daß die nur Sonntags zum Gottesdienst erschienen und auch da waren sie nur körperlich anwesend:
So mancher schlief während der Predigt ein.

Freilich tratschten die Frauen auch über die "Zustände" in dem Gast- und Gemischtwaren- Haus,
daß sie "in Sünde leben",
daß weder Jung noch Alt verheiratet seien und überhaupt sei es ein Zeichen,
daß das Kind tot zur Welt kam;
das sei wohl die gerechte Strafe für diesen Lebenswandel.
Sie zischelten dabei so leise in dem Gemischtwarenladen, daß nur durch eine Unachtsamkeit der Frauen
die Gegenwart des Johann entging, der gerade unter der Theke die Packpapiere einräumte, die am gestrigen Tag mit der Kutsche kamen.

Als er der Irme beim Abendessen davon erzählte, wurde sie bleich:
"Das habe ich irgendwann erwartet, das war auch der Grund,
weshalb nach dem Tod meines Mannes immer weniger in die Wirtschaft kamen-
man hat mich bewußt geschnitten, weil mir die Kirche immer schon fremd war
und nur wegen meines Mannes bin ich überhaupt dort mitgegangen.."
Ihr Mann lebte immer fromm und gottesfürchtig, wie ihm der Pfarrer geraten und wie dessen Vorgänger immer predigte.
Der Lohn des "himmlischen Vaters" kam in Form eines schnellen Todes, aber eines ungerecht kurzen Lebens..

Was sollen wir tun? Können oder dürfen wir so leben, in sündiger Weise, ohne den Segen der Kirche?
Aber was hat die Kirche uns geholfen, außer daß sie von uns Geld nahm und diese Tratschtanten auf den Hals hetzte,
die uns nun im ganzen Dorf und in der ganzen Gegend nach Herzenslust schlecht machten, bis kein Hund mehr ein Brot von uns nehmen mag..
Wie schon zu allen Zeiten ist die Neugier und die Sensationslust die Triebfeder vieler Leute,
das nennt man "gesellschaftliches Leben".

Als die Söhne nach Hause kamen, nahmen sie an dieser seltsamen Unterredung teil,
die Anne war bei Marga- die beiden waren sehr mit sich selbst beschäftigt.
Der Rudolf meinte: Ich gehe in einem halben Jahr nach Köln-
ich habe schon Kontakt zu einem Konditor, der mich anstellen will.
Was er freilich verschwieg und das kam erst viel später heraus, war der kleine Umstand bei diesem Konditor,
der blondgelockt hinter der Theke stand: Des Inhabers Töchterlein.
Was interessiert mich also das Geschwaetz der Leute in diesem Nest- ich gehe ja sowieso bald fort..

Die Mutter staunte nur noch, wie sehr hatte sich alles verändert, aus Kindern wurden Leute
und junge Leute soll und kann und darf man nicht aufhalten, nicht im Wege stehen.

Der Erwin war also an der Reihe sich zu äußern, was ihn nicht gerade frohgestimmt machte.
"Meine Lehre ist beendet, die Prüfung bestanden, meine Anstellung habe ich gerade verloren,
weil sich ein weiterer Geselle in der kleinen Metzgerei nicht trägt.
Der Lehrherr hat mich ungern gehen lassen, aber einen Gesellen, der eine Familie und Kinder hat,
wollte er nicht entlassen.."
Das kann jeder verstehen, so ist das Leben,
jeder ist des anderen Konkurrent.
"Ich suche mir eine Arbeit in der Grube oder helfe als Hausmetzger aus, noch ist alles offen."

Die Leute aus dem Ort kamen immer weniger in den Laden, in die Gaststube kamen sie schon eine geraume Zeit nicht mehr.
Wären da nicht die Reisenden gewesen, die sich immer zahlreicher einfanden,
wären beide Unternehmen den Bach hinunter gegangen, wie man so treffend sagt.
Der Erwin tat als Hausmetzger ab und an in der Umgebung sein Gewerk und half etwas im Sägewerk-
die Grube brauchte keine neuen Leute - ein Glück für ihn?
Als irgendwann mal keine Kundschaft aus dem Dorfe kam
und nur ab und zu eine der Schnüffel-Tanten forschend ihren neugierigen Blick im Gasthaus
oder im Laden streifen ließ- "Suchet so werdet ihr finden",
stand auf dem Bild über der Gaststube-
war der Irme und dem Johann klar:
Hier ist was faul.

Es dauerte seine Zeit, bis man dahinter kam..

Ein Reisender erzählte beiläufig von einem Krämerladen in Rennerod und wie der Name über der Tür lautete.
Männer merken das meistens nicht und wenn, dann erst viel später,
so fuhr Irme hoch: Aber, das ist doch der Name "unseres" Pfarrers!
Wie sich später heraus stellte, hatte er einen Bruder, der dort einen solchen Laden betrieb-
sollte dieser Pfarrer etwas mit der schädigenden Tratscherei zu tun haben?

Wie das so ist mit den hohen Herren, man kann denen nie etwas nachweisen und so war das auch in diesem Dorf.
Gegen die "alte Hexe", wie er die Kräuterfrau zu nennen pflegte,
hatte er auch was- sie soll Protestantin sein oder gar mit dem Teufel im Bunde stehen..
Gut, daß die Zeit der Hexenverbrennungen vorbei war,
sonst hätte sie der gute Mann bestimmt angetragen oder antragen lassen..

Der Familienrat hat schon einiges an Seltsamkeiten besprochen, aber eine Lösung hat man nicht finden können.
Dem Rudolf war es egal, die Anne war noch zu jung, die Marga hatte ihre Arbeit gefunden.

Der Laden lief aber immer noch, halt nur noch durch die Reisenden oder "Laufkundschaft" getragen,
genau wie die Wirtschaft, die mehr und mehr zur "Schnellgaststätte" wurde..
(Aber dieses Wort war halt noch nicht erfunden)
So waren die Fronten erst einmal klar, das Dorf, nein- das kann uns gestohlen bleiben.

Der nächste Morgen sah schon viel freundlicher aus, man sah hoffungsfroh in die Zukunft:
Der Pfaffe und seine Schnüffelbande waren abgeschüttelt,
mit dem Großbauern hatte man nichts zu schaffen,
Zwänge, wie Heiraten und Verloben und Taufen
und wie der ganze gesittete Ablauf in der katholischen Gegend so war,
waren in ferne Welten entrückt.

Die Türglocke ging oft genug, die Kutschen hielten und es wurde gegessen, bald war eine Scheune nötig,
in der zwei Pferde zum Wechseln und Geschirre und Futter für die Kutschpferde bereit gehalten wurde.

Dieses Geschäft wurde vom Metzger angeregt, der dem Erwin etwas Gutes tun wollte.

Nun hatte auch der Erwin ein Auskommen gefunden - er fuhr als Aushilfsfahrer im fürstlichen Postdienst
und betrieb nun diese "Relais-Station", wie sich dieses zu jener Zeit schimpfte.

Fortsetzung folgt wie immer- mit einem Klick auf das obige Bild..


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