plaetzchenwolf - Der Krämer 5. Teil



Vivarium Seite 4


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Früher war die Naturwissenschaft ein Mittel zur Abwendung von Naturkatastrophen. Heute zur Anwendung.

Jeannine Luczak

***

Die Wende kommt immer unverhofft.
Die Aushilfszeit als Kutscher war nicht so lange, nun verdingte sich der Erwin in der Relais-Station hinter dem Haus,
in seinem Schuppen oder Scheune, wie man es nennen mag.
Es war immer gut, wenn man die Pferde von der Strasse aus nicht sehen konnte-
noch immer trieb sich manches Gesindel auf der alten Fernstrasse herum.

Die Anna wollte bald in die Lehre gehen oder .. Hausfrau werden, wie man damals so sagte.

In diese Gedanken platzte der Tod der alten Kräutertante, die der Marga so viel von ihrem speziellen Wissen beigebracht hatte.
Als die ganze Familie zur Beerdigung ging, wurden sie von den Dorfbewohnern befremdlich gemustert.
Auf dem Friedhof war dieses Spießrutenlaufen etwas abgeklungen, in der Gaststube nahe der Kirche gab es Kaffee und Kuchen.
Das hatte sich die Alte so gewünscht, jeder sollte sehen, daß sie nicht ganz armseelig war.

(Eigentlich wurde in den Dörfern seit jeher Butter, Eier,
Mehl und Zucker in das Trauerhaus geschickt, wie man dazu sagte,
damit davon Reihenweck und Totenweck gebacken werden konnte.
Das wurde meistens zum Bäcker des Dorfes gebracht
und die fertigen Backwaren von den Hinterbliebenen abgeholt und in jedes Haus geschickt,
aus welchen etwas an Zutaten oder Geld geschickt worden war oder Angehörige waren.
Den Kaffee trank man eigentlich im Hause des Verstorbenen, gemacht von den trauernden Angehörigen.
Auf diese Weise waren die Hinterbliebenen abgelenkt, hatten etwas zu tun und kamen nicht auf trübe Gedanken)

Hier lief mal eben wieder alles anders- wen wundert es?
Der "letzte Wille" wurde von der Marga gefunden, als sie die Alte tot im Bett fand,
hatte sie diesen Zettel in der Hand.
(Gesucht hätte sie wohl nie danach, zu groß war ihr Respekt vor der freundlichen Frau)
Darauf stand in feiner alter Schrift zu lesen:
"Der einzige Mensch, der sich um mich jemals gekümmert hat, ist die Marga.
Ich möchte, daß sie das Haus, das Grundstück und die Tiere erhält,
Verwandte und Nachkommen habe ich keine, ich war auch niemals verheiratet.
Beim Notar Zappwinkel habe ich mein Testament hinterlegt."
Der Pfarrer schlich noch ein paarmal herum, als wollte er in das Haus der Alten -
doch es war immer jemand da, meistens die direkten und einzigen Nachbarn,
mal die Hebamme, die die Totenwaschung mit dem Beerdigungsunternehmer tat,
und damals noch den Totenschein auszustellen berechtigt war,
bevor der schwarze Wagen mit dem Pferd davor den Sarg feierlich zur Leichenhalle fuhr.
Alle Trauernden gingen hinterher.

Marga ging zum Schultheiß und zeigte ihm den letzten Willen der Alten,
ihm war alles irgendwie lästig, furchtbar diese armen Leute,
wie konnten sie ihn nur immer wieder belästigen mit ihren niederen Dingen.
Er ließ sich dazu herab, die Marga zum Pfarrer zu schicken.
Dieser war eher neugierig als hilfreich und erklärte sich dann doch bereit,
beim Notar um einen Termin zu ersuchen.
Der Notar hatte sich für die nächste Woche einen Termin frei genommen.
Eingeladen waren die Marga und der Pfarrer- wie das damals so war.
Nur Honoratioren durften Honoratioren behelligen,
allen anderen Leuten wurde das als Unart ausgelegt,
diese einfach mal so anzusprechen..

Sie wanderte in die Stadt, fragte hier und da und suchte die Strasse und fand endlich das Haus,
in dem der Notar "Dr. Zappwinkel, Notar und Rechtsanwalt" auf feinem Messingschild eingraviert.. residierte.
Sie klopfte schüchtern, als die Vorzimmerdame HEERRRRRein ! schmetterte.
Ein schütterer alter Herr war hinter einem riesigen alten Schreibtisch,
dunkle Vorhänge und wenig Möbel, aber viele Akten waren in diesem etwas staubigen Raum.
(Die Sonne schien zum Fenster herein, man konnte den Staub recht gut in der Luft sehen)
Der Pfarrer war auch schon da und verlangte später dafür ein Zeugengeld von zwei Gulden.
Wir halten uns nicht lange auf, Fräulein -äh äh,
er schaute auf den Zettel und las ihren Namen laut und deutlich ab.
Wer hätte sie schon kennen sollen in der Stadt?
Der Notar bestimmt nicht, der Pfarrer auch kaum..
Nun fing er mit lauter Stimme an:
Der letzte Wille der ... war, daß sie das Haus, das Grundstück und alles,
was nicht niet- und nagelfest ist, nebst allem Vieh und Vermögen erben sollen.
In ihnen, Fräulein Marga ..
Nun schüttelte der Pfarrer den Kopf.
Vermutlich wollte er damit andeuten oder rügen,
daß sie und der Erwin kein "ordentlich getrautes Paar" sind und somit in Sünde zusammen lebten
- wo die Strafe - zumindest aus seiner Sicht und die der Tratschtanten,
das totgeborene Kind war.
Aus der Reaktion des Notars konnte man entnehmen, daß er mit dem Pfarrer schon länger darüber gesprochen hatte.
Zumindest wußte er über des Pfarrers Bruder, der mit dem Notar in den Vereinen war..
Ähm- räusperte sich der Notar und fuhr fort:
In ihnen sah die Erblasserin eine würdige und zudem die einzig denkbare Erbin.

Marga reckte sich ein wenig und dachte bei sich:
Da kommt viel Arbeit auf mich zu und die Verantwortung für die Tiere.
"In der Kammer stehen handgeschriebene Kräuterbücher, an denen mein Herz hing,
sie sollen gut verwahrt und in Ehren gehalten werden, sie sollen vielen Menschen helfen."
Und weiter las er vor:

"Sie war die uneheliche Tochter des Grubenbesitzers, die ihren Anteil -in aller Verschwiegenheit-
als Notgroschen auf der Bank deponiert hat.
Diese Summe liegt schon bald ein halbes Jahrhundert dort fest
und beläuft sich nach heutigem Geld auf zirka tausend Gulden."

Nun gab es für den Pfarrer kein an sich halten, nun fuhr er dazwischen;
"Unehelich, unglaublich sowas, der sollte sich schämen!
Und dann diese hohe Summe, die nun dieses.. diese.. dieses Sündenkind"
Nun ist es aber genug, Herr Pfarrer, warten sie bitte draußen im Vorzimmer, sagte der Notar trocken und reserviert.
(Wie Marga später hörte, lebte der feine Notar ebenfalls "in Sünde")

Ich stelle ihnen einen Erbschein aus,
mit diesem gehen sie zu Bank und dort können sie über dieses Geld frei verfügen,
endete der Notar seine Vorlesung- ähm-
ich bekomme noch 10 Gulden von ihnen für meine Mühen.
Gut, sagte Marga, noch immer mehr entsetzt als erfreut über den unverhofften Segen-
ich muß erst das Geld besorgen, dann komme ich nochmal vorbei und bezahle die 10 Gulden,
haben sie recht schönen Dank Herr Notar!

Im Vorzimmer hockte der Priester immer noch - die Ohren gespitzt:
Ihnen, Herr Pfarrer, gebe ich das Geld gleich, dann brauche ich nie mehr zu ihnen zu kommen.

Sie kündigte die Einlage bei der Bank mit Hilfe dieses Erbscheines und drückte das Geld ganz fest an sich,
als sie damit nach Hause ging - nicht ohne nochmal kurz in der Dorfwirtschaft vorbei zu schauen
um den Totenkaffee zu bezahlen.

Daheim legte sie die Gulden mitten auf den Tisch der Irme, um dann den Familienrat abzuwarten.
Nach und nach kamen die Familienmitglieder und konnte sich vor Staunen kaum halten!
Es war zwar ihr Geld, das sie irgendwie erworben oder geschenkt bekommen hat-
sie wollte das auf keinen Fall für sich behalten.
Nach langem Hin und Her war man sich einig:

Das Häuschen der Alten sollte in Ordnung gebracht werden, darin sollen die Margas Eltern ihren Lebensabend verbringen.
(Davon abgesehen, vielen diese Beiden aus allen Wolken vor Glück,
sie waren die undankbare Schinderei und die Schikanen in diesem Allmende Gehöft gründlich leid,
sie trauten sich niemals auch nur leise zu mucken,
wer waren sie schon, was konnten sie schon ausrichten?
Sie hatten gerade das Allernötigste zum Leben, sie haben kaum etwas zurücklegen können,
immer war etwas kaputt, mal die Schuhe, mal die Kleidung.)

Kleine Leute blieben klein, wichtige Leute waren wichtig und sie blieben es auch.
Zu allem Überfluß nannte man das später: "Die gute alte Zeit".

Noch am nächsten Tag standen die beiden Eltern auf ihrem neuen Grundstück,
das zwar auf Marga eingetragen war, aber irgendwie doch nun ihr eigen war.
Die beiden Eltern ließen sich nicht lumpen und arbeiteten so,
wie sie es gewohnt waren, im Haus der alten toten Kräuterfrau weiter.
So viel war nicht zu machen, ein paar Verschönerungsarbeiten,
hier ein paar Bretter, da einen neuen Balken, eine neue Tür,
2 Fenstern, ein paar Eimer Farbe und schon war alles wie neu.
Nun gab es noch Platz für weitere 2 Kühe und weitere Ziegen, für ein paar Gänse und Enten.
An Geld mangelte es nun wahrlich nicht - aber es wurde nur von Marga verwaltet,
die sehr sparsam und sehr umsichtig damit umging.

Der Pfarrer wollte immer nochmal schauen kommen- er wurde aber immer abgewiesen,
er konnte nie die Füße über die Schwelle des Hauses der Alten setzen-
sie hätte es auch verbeten, dass Pharisäer und Philister sich in ihrem Hause breitmachten..
.. und womöglich die neuen Bewohner mit seltsamen Vorschriften überzogen hätten.
Der Gutsherr war auch später zu keiner Bemerkung bereit,
es schien im nichts auszumachen, daß das Knechte-Ehepaar ging.

Nun waren die Bewohner der beiden Häuser erst einmal aller Sorgen ledig,
der Johann wußte, wie man die Goldgulden gut verstecken konnte-

Das Geld war für alle eher eine Last als eine Freude, zu groß war die Angst vor einem Überfall
oder was bald noch schlimmer wäre, vor Erpressung und Mord-
das war damals eher an der Tagesordnung, in diesen unruhigen Zeiten.

Anne und Rudolf bekamen ihren Anteil gleich auf die Hand, obwohl sie eigentlich nicht erbberechtigt waren-
die Marga wußte wohl, daß sie in ein Haus kam, in dem alles geteilt wurde und das wollte sie ebenso halten.
Jede Person erhielt den gleichen Anteil, nur die Margas Eltern lehnten dankend ab- sie hatte mehr,
als sie sich je erträumt haben.

Nun begannen Johann und Irme sich ein wenig zurück zu ziehen,
die Marga und der Erwin übernahmen die Wirtschaft und die Relais-Station,
es blieb ihnen Erwins Wohnung über dem Gemischtwarenhandel.
Die Jungen zogen in die oberen Räume der Wirtschaft und bald darauf kam..
ein gesundes Kind zur Welt !

Die Anne ist noch vor dem Rudolf in Köln gelandet-
und wohnte bei ihren Lehrherren,
die eine größere und recht bekannte Näherei hatten.
Etwas von den ererbten Gulden hat sie gebraucht, um sich in diese Lehre einzukaufen.
Diese Ausbildung zur Schneiderin war begeht und nicht jede Bewerberin wurde genommen!
Annes kleine Hühnerzucht haben Margas Eltern übernommen
und mit allerlei Sachen den Gemischtwarenladen noch lange beliefern können..
Milch, Eier, Käse, Geflügel, Butter waren nun ganz aus der Nähe zu haben -
zu einem günstigen Preis, denn leben mußten die Beiden schließlich auch.
So haben sie ihre kleine Landwirtschaft - gelernt ist gelernt - recht flott voran gebracht.

Die Leute aus dem Dorf kamen immer noch nicht einkaufen, auch nicht mehr in die Gaststube,
auch wenn diese nun "neue" Besitzer hatte.
Für die Bewohner der beiden Häuser war das ein Grund, ein neues Firmenschild anzubringen:
" Relais - Station Freihof
Laden und Gaststätte. "
Ein stolzes Schild, vom Johann selbst gemacht.

Sicher, die Geschichte geht noch weiter- und wie!


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Die heutige Zeit ist freilich viel moderner, man ist krankenversichert und der Notarzt kommt sofort, wenn nötig.
Damals gab es kein Telefon oder gar Handy, mit dem man Hilfe holen könnte.
Mit viel Gück gab es im Ort einen Bader und Barbier, der sich halbwegs medizinisch auskannte.
Viel Scharlatanerie war dabei, wie heute in der Politik..
..man wußte vieles noch nicht, heute aber bereits vieles nicht mehr:
Menschlichkeit und Rücksicht.
Ach ja, Toleranz ist aus dem Lateinischen und bedeutet nicht, daß man "Minderheiten" lieben muß,
sondern ertragen- mehr nicht.
Etliche Sachen werden von unseren Oberen bewußt verfälscht und lautstark verkündet.