plaetzchenwolf - Der Krämer 7. Teil



Vivarium Seite 6


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Dieses Foto habe ich auf einem Spaziergang am Wald aufgenommen.


Sei du selbst die Veränderung, die du dir selbst wünschst für diese Welt.

Mahatma Ghandi

***

Dorfgespräche. (Der Krämer 7.)
Wer katholisch sein mußte, weil der Landesherr das damals so bestimmt hat,
tat, wie ihm geheißen.
Gib dem Kaiser, was des Kaiser ist, steht in der heiligen Schrift.
(Ob das vom Jesuskindlein so gedacht war, daß nun jede Willkürlichkeit
und von der Kanzel herab als "Schaf" angesprochen werden sollte,
steht buchstäblich in den Sternen.
Weder der Fürst, noch der heilige Geist haben sich dazu jemals geäußert, noch ein sichtbares Zeichen dazu getan.)
Irme, Johann, Erwin und Marga wußten wohl, daß man es sich nicht ganz mit der Obrigkeit verderben durfte.
Also kam die Kommunion des Urselchens ein wenig spät, für den Karl etwas zu früh-
auch der Pfarrer war froh, daß beide Querulanten-Kinder zusammen "vom Tisch" kamen.
Der Kirchgang wurde widerwillig getan, Margas Eltern taten in dieser Zeit Vertretung im Laden und Gaststätte.
Die Zeiten waren immer so, daß sicherheitshalber jemand im Haus war.
Man sollte denken, daß die Leute aus dem Dorf alle zur Kirche geströmt seien, schon aus Neugier-
weit gefehlt, nicht mal die Tratschtanten waren alle da, es war eine ziemlich einsame Feier.
Der Pfarrer war sehr kühl und reserviert, weil sein Kollege aus dem Nachbarort dabei war und..
der Metzger und der Bäcker des Ortes mit ihren Familien und der Herrmann vom Sägewerk.

Die anschließende kleine Feier war daheim, nicht im Dorf- was jeder verstand.
Der örtliche Pfarrer blieb dieser Feier fern- was nicht üblich war, der Pfarrer aus dem Nachbardorf blieb ebenso fern.

Was haben die Kleinen nun, was sie vorher nicht hatten, fragten sich alle..
Der Metzger kam kurz vorbei und auch der Bäcker, aber jeweils alleine,
ohne Familie - zu sehr wollten und durften sie sich dem Geschwätz der Leute nicht aussetzen,
schließlich lebten sie von ihren Geschäften.
Der Bäcker brachte einen guten Kuchen mit, der Metzger- nein, keine Wurst und keinen Braten,
sondern je einen Welpen für die Kinder.
Er hatte ein paar typische große, wehrhafte Metzgerhunde, die zu damaliger Zeit den Karren zogen
und daheim die Wacht hielten- so eine Metzgerei erweckt Begehrlichkeiten bei so manchem schrägen Vogel.

Das Urselchen und der kleine Karl waren ganz außer sich vor Freude,
als die beiden dicklichen Welpen mit wildem Schwänzeln aus dem Korb gestürzt kamen!
Diese Freude kennt jeder, der schon mal einen Hund hatte- das steckte alle Anwesenden an.
Die Hunde waren aber auch zu niedlich und posierlich und wurden bald sehr anhänglich,
wie das so ist, wenn sie in einer Familie aufwachsen und überall dabei sind.
Man verabschiedete sich herzlich und die beiden Geschäftsmänner gingen froh nach Hause-
diese Beziehung wäre gerettet, prima, die verkaufen gut für uns, der Umsatz hat sich
sehr gut entwickelt.
Der Erwin schlachtet die Hühner, Enten und Gänse oder Hasen, wenn das anstand-
gelernt ist gelernt, und verarbeitete die Tiere geschickt.
Eine Räucherkammer kam dazu, die er sich hinter dem Schuppen selbst gebaut hat.
Seine Spezialität waren Forellen, die er aus dem Nachbardorf gebracht bekam-
dort -in halber Höhe zum Tal hin- waren ein paar Teiche hintereinander abwärts angelegt,
die den Köhlers gehören, die heute die Mühle unter den Teichen gepachtet haben.
Der Landesherr hatte noch kein sogenanntes Mühlenrecht eingerichtet,
das alle Bauern zwang in eben diese eine Mühle ihr Getreide bringen zu müssen,
wie das so oft- oder üblicherweise gehalten wurde.
Ihren Namen hatte die Familie wohl aus der Vergangenheit,
die vermutlich mit dieser Berufsbezeichung zu tun hatte-
es waren auch einige Köhlerplätze in den Waldstücken zu sehen.
Ab und an stellten sie immer noch mal einen Mailer auf, was viele Wochen Arbeit bedeutete.

Dieser Herr Köhler also tauschte in Johanns Laden seine Forellen gegen Dinge um,
die ihm seine Frau aufgetragen hatte.
Anschließend wurden die Fische fein mit Buchenspänen (die der Herrmann vom Sägewerk lieferte) von Erwin geräuchert.
Diese Fische waren so etwas wie der Höhepunkt des Angebotes- sie lagen auf dem Tresen, sauber auf einem Holzrost ausgelegt.
Der Duft der goldgelb geräuchtern Fische überzeugte viele Kunden,
auch wenn diese Forellen immer geschwind verkauft waren und man von Glück sagen konnte, noch einen solchen Leckerbissen zu ergattern.
Das brachte den Erwin auf den Gedanken, auch mal Hühner und Gänse -zumindest in Teilen- geräuchert anzubieten.
Die Lagerung von Lebensmitteln war noch recht problematisch, salzen und räuchern oder sauer einlegen-
mehr Möglichkeiten hatte man damals noch nicht.

Es kamen immer wieder Handwerksburschen vorbei- offenbar hatte sich die Relais-Station herumgesprochen.
Nun buddelten zwei Burschen einen Erdkeller aus, den Erwin schon immer haben wollte-
gleichmäßige Temperaturen waren gut zum Einlagern, ob für den Laden oder für die Gaststätte.
Die Gegend ist mit vielen Steinen "gesegnet", so war das eine rechte Schinderei,
die einen ganzen Monat dauerte, aber eine grobe Steingewölbedecke mit Erdabdeckung brachte.
Nur eine Stelle auf den beiden Grundstücken war dazu geeignet gewesen,
die leichte Erhöhung der Wiesen schützte davor, daß sich Oberflächenwasser stauen konnte.
Nur noch ein kleiner Ablauf-Graben und eine massive Holztüre mit grobem Schloß und schon war die Anlage fertig.

Innen hingen Haken an ein paar Querbalken unter der Decke,
links und rechts Regale und auf dem Boden darunter Fässer auf Steinen und große Steintöpfe.
Die Fässer kamen aus Köln, die hatte Anne am Hafen entdeckt und nach Hause schicken lassen.

Erwin hat eine Mühle und Kelter in Aussicht, die in Altendiez stand und nicht mehr gebraucht wurde,
weil der Betreiber verstorben war, seine Witwe diese nun nutzlosen Dinge gerne zu Geld gemacht hätte..
Der Herrmann hatte eine gute Stellung im Sägewerk, er galt als tüchtig und hatte somit einige Freiheiten.
Das wäre ein gutes Zubrot, dachte er sich, als der das schwere Gespann anschirrte -
um in Altendiez diese schweren Brocken abzuholen.
Immerhin waren in der einfachen Fahrt bald 7 Landmeilen (50km)
im Nassau-Dillenburger Land zu fahren und das freilich schwer beladen wieder zurück.
Die Ochsen wären zu langsam gewesen, das ging mit den schweren Zugpferden besser, die man sonst zum Holzrücken nutzte.
Zum Glück war die Strasse dorthin recht gut ausgebaut - so war er am 2. Tag dort angekommen
und ließ mit Hilfe von einigen Handlangern, die direkt vor Ort angeworben wurden, aufladen.
Gut vertäut fuhr er an die Ortsgrenze und schlief erst einmal auf dem Wagen, die Pferde hatten ihr Futter schon.

Am nächsten Morgen brach er früh auf und erreichte gegen Nachmittag den selbsternannten "Freihof".
Mit vereinten Kräften wuchtete man die schweren einfachen Geräte in den Schuppen,
Marga hatte dem Herrmann gut aufgetischt und Erwin versorgte die schweren schwitzenden Pferde mit allem,
was solche Tiere gerne hatten: Hafer, Möhren, Heu und viel, viel Wasser, trockenreiben mit Stroh..
Noch am gleichen Abend sollten sie wieder in der Sägemühle sein.

Am Nachmittag kam der Metzger vorbei und hatte seinen großen Hund an der Leine- die Mutter der Welpen.
Das war ein mächtiges Hallo, als die Erwachsenen respektvoll das Muttertier bewunderten.
Die Welpen waren ganz aus dem Häuschen, die Kinder auch.
Bei diesem Anlaß wurde Tee mit Rum getrunken und viel geklönt - so erfuhren sie einige Neuigkeiten aus dem Dorf.

Wer eine Reise tut, kann viel erzählen:
Beim Essen sprach Herrmann davon, daß der Landesherr eigentlich zum Calvinismus konvertiert sei-
früher katholisch, dann evangelisch-
was der Pfarrer des Dorfes wohl nicht hören mochte oder gar nicht wußte?

Alle staunten- was ist denn das nun schon wieder für eine Glaubensbezeichnung?

Das ist schon eine seltsame Sache mit dem Glauben,
die Unterschiede sind von keinem der Landbewohner jemals verstanden worden-
was sich nach meinem Wissen (Autor) bis zum heutigen Tage (Sept. 2022) nicht geändert hat.
Wer versteht schon die Transsubstantiation, ein lateinisches Wortungetüm mit seltsamer Bedeutung.

Die Bewohner des Westerwaldes machten sowieso nur, was der Schultheiß sagte und der Pfarrer predigte-
die meisten konnten weder lesen noch schreiben- was hätten sie mit der Bibel anfangen sollen?
(Wo das auch nicht drin stand, welche Glaubensrichtungen oder Unterscheidungen hinzu gebastelt worden wären..)
Die Kirche hat deshalb den Katechismus erfunden - aus dem die Priester der kleinen Gemeinden entweder vorgelesen
oder anhand von gemalten Bildern die biblische Geschichte erzählt haben, die in knappen Texten darunter stand.
"Zum Beweis" wurden die Bilder - je nach Jahreslauf - herum gezeigt und im Unterricht abgemalt.
Später stellte sich heraus, daß der Landesherr den Pfarrer belassen hat und hoffte,
dass dieser den evangelischen, pardon, calvinistischen Glauben ebenso vermitteln würde.
Dabei fällt auf, daß die durchziehenden Franzosen den gleichen Glauben hatten-
oder waren es Waldenser oder Hugenotten? Niemand wußte diese Dinge zu unterscheiden-
und der Schultheiß hielt sich aus der Sache heraus, wie immer:
"Für mich sind Christen eben Christen, egal wie die sich sonst noch benennen"

Niemand traute sich beim Pfarrer oder beim Landesherren nachzufragen, was denn nun damit war,
wie man sich in Glaubensfragen zu verhalten habe- der Herr Pfarrer wirds schon wissen!

Wie auch immer- mit Glaubensfragen hat man es auf dem Freihof weiter zu belassen, wie es war:
Niemand interessierte sich dafür, denen waren diese Luftgeister egal.
Die Hunde wuchsen schnell heran, bald waren sie wachsam und stark.
Ihre Art war aber überaus herzlich zu allen Familienmitgliedern, aber ruhig abweisend gegen jeden Fremden,
richtig derb gegen Störenfriede.

Bei der nächsten Apfelernte im Tal- oben auf dem Berg waren keine Apfelbäume zu finden- war man gerüstet:
Erwin hat dafuer gesorgt, daß seine Apfelpresse bekannt wurde.
Die Äpfel- auch Fallobst- wurde von dieser Kelter zu Saft verarbeitet,
den die Anlieferer mit nach Hause nehmen konnten oder als Gutschein umgewandelt,
später als Apfelwein holen konnten,
den der Erwin in den großen Fässern im Erdkeller machte.
(Viele haben ihre Äpfel lieber zu Geld gemacht, das war immer knapp -
und für Apfelwein ist auch Fallobst nicht verschmäht worden:
Die Kinder halfen alle mit und bekamen zur Belohnung ein Glas frischen Most, den sie mit Begeisterung tranken.
Der Trester, der Rest der Äpfel aus der Presse wurde im Stall verfüttert.
Die Kelter war dort eine ganze Neuigkeit und wurde viel bestaunt.
Die leeren Weinflaschen, die als Pfand zurück kamen, wurden nun für den Apfelwein gebraucht,
so war der Rücktransport zum Weinhändler nicht mehr nötig.
Einige Anlieferer brachten Tonkrüge mit, die mit dem Apfelwein oder dem Apfelsaft gefüllt wurden.

Nach und nach entwickelte sich eine kleine Lohnkelterei daraus.
Arbeit war wahrlich mehr als genug auf dem Freihof, das sah jeder, auch die Dorfbewohner..
zwei junge Burschen - Berthold und Otto haben sich als Lehrlinge beworben und wurden mit Freuden aufgenommen,
der Berthold in der Landwirtschaft, der Otto im Kramladen.
Die beiden hatten es nicht so weit ins Dorf und deshalb wohnten sie weiterhin bei ihren Eltern
und nicht bei den Lehrherren, wie das damals oft war.

Die Begeisterung der beiden Jungen sprach sich im Dorf schnell herum,
sie lernten viel und schnell bei ihren Lehrherren.
Statt Lehrgeld, das damals die Eltern zahlen mußten, bekamen die Beiden sogar
noch ein Taschengeld als Lohn für ihre Arbeit und .. Essen!
So ein unerhörter Vorgang war freilich schnell in aller Munde-
wer hat sowas schon mal gehört!

In die Gaststube kam eines Tages ein Elternpaar mit ihrer Tochter Lilie,
die gerade kurz vor dem Zeugnis des letzten Schuljahres stand-
etwas verlegen stotterten sie herum und fragten Marga nach einer Lehrstelle im Gasthaus.
Eine Hilfe könnte ich wirklich gut gebrauchen, zu den beiden Kindern,
dem Karl und der Ursel- und dann noch die Hunde und die Kocherei-
eigentlich war das schon viel zu viel Arbeit.. ging es ihr durch den Kopf.
"Versuchen wir's, sagte sie- wir werden ja sehen, wie du dich anstellst- ich könnte Hilfe gebrauchen!"
Schriftliche Verträge gab es damals nur bei den hohen Leuten, so genügte ein Handschlag,
wie heute noch bei Geschäften unter Kaufleuten üblich.

***

Das Eingangsbild führt die Geschichte fort..


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*** Nachgetragen ***

An dieser Stelle möchte ich eine Bilderserie beginnen, die den Titel "Die letzten Zeugen der alten Zeit" tragen soll. Diese Bilder sind wirklich echt und sie waren damals die Lebenswirklichkeit - meine 70 Lenze haben nur noch die Reste dieser Dinge einfangen können, die bald endgültig verloren sein werden. Mit jedem verschwundenen Kiosk in der Stadt, mit jeder "Schmuddelecke" wird ein Stück unserer Kindheit verschwinden, unwiderruflich, wie die kleinen Schätze, die in der Blechkiste im Garten vergraben wurden, als wir noch träumen konnten. Ab und an finde ich nochmal einen alten Kaffeelöffel beim Umgestalten im Garten, eine abgebrochene Wäscheklammer und ein winziges primitives Plastik-Spielzeugautochen.. die Viehwaage und die Fahrkühe sind längst schon weg, die Scheunen stehen schon 60 Jahre lang leer, die Bauernhöfe sind nur noch von ein paar alten Leuten bewohnt und ihrer Bestimmung beraubt. Mit den alten kleinen Traktoren fahren heute nur noch spartenfremde Rentner oder Freaks herum, die wohl zu Geld zuviel haben und denen die Umwelt so was von egal zu sein scheint..
genug davon, ich fange einfach mal an, die Bildgalerien nach passenden Bildern zu durchsuchen:





















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