plaetzchenwolf - Der Krämer 1. Teil



Oldtimer 48


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Hier folgt eine fiktive Geschichte,
die in den unzähligen historischen Büchern ihre Wurzel gefunden haben mag..

***

Er war als Krämer unterwegs im alten Nassauer Land und wohlbekannt.
Auf Schusters Rappen ging er aus dem keinen Dorf im hohen Westerwald,
dort wo sich Fuchs und Hase noch "gute Nacht" sagen,
dort, wo dreiviertel des Jahres kaltes Wetter, das andere Viertel Winter ist.
Das Lied vom Westerwald, wo der Wind so kalt pfeift, kommt nicht von ungefähr.
Die Zeiten waren hart, wie immer in dieser ungastlichen Gegend mit ihren kargen Böden.
Hier wurde noch nie etwas verschwendet, hier war Schmalhans immer der Küchenmeister-
wenn es überhaupt mehr als einmal am Tag etwas zu essen gab,
war das Hafersüppchen oder die Rübensuppe die meiste Speise.
Die einzige Kuh teilte man sich mit zwei anderen Kleinbauern,
sie mußte nicht nur Milch und ab und an ein Kälbchen liefern,
sondern auch den Pflug ziehen oder den Heuwagen.
Viel ist ja nun wirklich nicht gewachsen auf diesen Höhen, die weit und oft kahl sind -
mit vielen großen Basalt-Steinen an allen Ecken und Enden,
dafür waren die Täler sumpfig und morastig - bestenfalls als Grasland geeignet.
Die Ziegen und Schafe gaben nicht nur Milch, sondern auch Fleisch und Felle,
etwas Federvieh war auch noch da -
von allem jedoch viel zu wenig für die vielen Münder, die zu stopfen waren.
Von allem war auch noch - strikt durch den Schultheiß und Pfarrer beobachtet -
was an den "Herren" abzuführen sei, zusätzlich zu Frondiensten auf dessen Land und Wegen.
Er, der Krämer, hatte kein Bauernhaus, hatte keine Familie und keine Kinder.
Der Sonderling führte ein typisches Händlerleben, immer unterwegs.
Jeder kannte ihn, er war wohl gelitten, zahlte immer seine Zeche sofort und ohne List.
In diesen einsamen Westerwald-Dörfern kaufte er Kämme, Seile, Seifen, Knöpfe, Garn und Wolle,
hölzernes Geschirr und Eß- und Kochlöffel und allerlei solches kleine praktische Hausgerät,
um dieses in den entfernten Städten und wohlhabenden Orten zu verkaufen.
Reich werden, nein, das konnte man damit bestimmt nicht!
Er mußte vom Gewinn leben, essen, schlafen und Schuhe kaufen, seinen Zehnt entrichten.
Als Nachrichtenboten hat man ihn auch gebrauchen können, denn er galt als sehr zuverlässig.

Er, der Krämer, kam aus Köln, wo viele Männer aus dem Westerwalddorf Arbeit fanden.
Sie verließen die Familie während der Saison und arbeiteten als Maurer oder Anstreicher,
was die Familienmitglieder zu Hause überleben ließ - besonders in der Zeit schlechter Ernten.
So kam er, der Krämer, wohl mit denen, den im Spätherbst zurück wandernden Leuten in den Westerwald.
Die große, alte, enge Stadt mit ihren Ausdünstungen war nie gut zu ihm, er liebte die freie Natur.
Die gerade, schweigsame und derbe Art der Westerwälder lag ihm mehr als die lauten Städter.
Nur noch selten - eben mit den nach Köln wandernden Westerwälder Männern
trieb es ihn jedes Jahr einmal dorthin zurück,
wo er sein Bier trank und seine Geschäfte machte:
Westerwälder Sachen gegen etwas Schmuck und Spiegel und Druckwerke eintauschen.
Es konnten zwar nicht so viele Leute lesen, dort im Westerwald,
aber auch dort gab es Pfarrer und Lehrer und Leute,
die sich in dieser Kunst üben wollten.
Mit seinem Schäfermantel, Stiefeln und breitkrempigen Hut und Kiepe
auf dem Rücken bot er ein bekanntes Bild im Land.
Ein Wanderstock war damals nötig, um sich zu verteidigen gegen wilde Tiere oder gegen Räuber.
Die Zeiten waren arm, viele waren geächtet und vogelfrei, bildeten Banden und überfielen einsame Wanderer.
Übung macht bekanntlich den Meister, so war er recht kräftig und wehrhaft- wer wandert, wird nicht fett.

Er übernachtete zumeist in Heuställen, nur ganz selten in Gasthöfen, denn dazu langte das Geld nur selten.
Je reicher die Gegend, die er durchwanderte, um so härter waren die Menschen,
sie waren nicht nur wenig gönnerhaft,
sondern oft genug mißgünstig und spöttisch, herablassend und boshaft:
Es wird wohl so sein, daß der Dichter recht hat, wenn er sagt:
Dem Armen fehlt manches, dem Geizigen alles..
Er kam bis an die Lahn, den Rhein, in den Taunus,
in die alte Reichshauptstadt Wetzlar, sogar bis nach Frankfurt,
wo er mit Leder bepackt, wieder zurück kam und den Schuhmachern ihr Material bringen konnte,
das sie bei ihm nur zukauften, wenn die eigenen Leute nicht genug ergattert hatten
oder mehr Schuhe bestellt wurden,
als der Geselle an Material hat tragen können.
Schuhe waren so teuer, daß die Westerwälder meistens barfuß gingen, zumindest im Sommer.
So gingen auch die Kinder barfuß zur Schule,
wie er ebenfalls - und so seine Stiefel schonte, wo es nur ging.

Einen kleinen Spiegel aus Köln tauschte er gegen Heilkraut,
dieses brachte ihm einige Kreuzer in Bad Soden ein,
von dort brachte er Salz nach Wetzlar, zog von dort mit geschmiedeten Nägeln und Tür - Beschlägen weiter.
Mal hatte er Dörrfleisch dabei oder harte Räucherwurst,
mal Schnürsenkel und Knöpfe, Salben und Schnaps.
Süße Sachen und Dörrobst, Gürtel und auch Messer oder Gabeln,
ein geschnitzes Spielzeug, eine Lupe oder Vergrößerungsglas,
Hustensaft, Handschmeichler, Ketten und Geschmeide, Hüte und auch mal ein paar Schuhe -
was sich gerade ergab, wurde gehandelt.
Kaffee und Tee, feine Bonbons oder Pralinen, Blutwurst oder Schreibgriffel und Schreibtafeln -
es war ihm alles recht.
Irgendwann wußte er ganz genau, wer wo was gebrauchen konnte
und tauschte oder verkaufte die Waren so geschickt,
daß er davon leben konnte.
Da er gerne mit den Kunden sprach, wußte er über die Wünsche oder Begehrlichkeiten recht gut Bescheid-
diese hatte er immer gut im "Hinterkopf"- vergessen hat er wohl nie etwas.
Über die langen, kaum befestigten Chausseen, steile Bergpfade, weite Höhenstraßen,
durch Wälder und vorbei an Wiesen und Äckern gingen die Wanderungen.
Damals lebten noch nicht so viele Menschen auf dem Land,
selbst heute große Städte waren recht überschaubar und mit Stadtmauern umfasst, mit Türmen bewehrt,
um die marodierenden Soldaten der verschiedenen Heere,
die plündernd und mordend durch die Lande zogen,
abzuwehren wie wilde Tiere.

Tarnung war manchmal wichtiger als Wehrhaftigkeit -
deshalb hielt er sein Aussehen so unauffällig wie möglich.
Sein Labsal fand er im klaren Bach, sein Naschwerk in den Früchten am Waldrand,
er kannte die Wurzeln, die man kochen und essen konnte.
Wie die Bauern - und damals war noch jeder Bauer im Westerwald und auch im Taunus -
bekam auch er nur selten Fleisch oder Wurst ab.
Diese Art Nahrung war den schwer arbeitenden Eisenhüttenarbeitern und Grubenleuten vorbehalten,
mehr noch als den Ackerleuten.
Ab und zu bekam er von einem Jäger ein Stück Wild,
das dieser vom Fürsten als sein Deputat zugestanden bekam -
keinesfalls für seinen Verzehr, sondern zum Weiterverkauf.
Bleikugeln gegen Fleisch, Fleisch gegen Zucker, Zucker gegen Leder oder Eisen -
jeden Tag neue Waren, jeden Tag neue Kunden, die zu seiner Stammkundschaft hinzu kamen.
Werbung hatte der Krämer nie nötig, denn die Mund zu Mund Propaganda reichte vollkommen.
Er brachte Neuigkeiten mit - eine Art Rabatt oder Unterhaltung - man kann es so oder so sehen.
Tabak fuer den Alten, eine gebrauchte Taschenuhr, Tücher, eine Brosche,
einen Lederbeutel, ein paar Feile oder Schnitzmesser, Döschen, ein paar Heiligenbildchen,
Kreuze für den Hausaltar und allerlei Tand und Nützliches war in der Kiepe zu finden.
Zuweilen hatte er auch Eier und Käse dabei - was gerade getauscht werden konnte.
Die Kinder kündigten sein Ankommen schon von weitem an -
jedes bekam ein Bonbon ab, das war Ehrensache.
Süßigkeiten hatten die Kinder schon immer gern, und was waren diese Sachen so selten auf dem Land!

So kam er wieder einmal über den Knoten, vorbei an Köhlerhütten
und Hirten bis zum einsamen Haus unter der Höhe.
Die Bewohner schliefen noch nicht, eine einsame Funzel leuchtete
gerade bis vor die Tür aus dem Fenster heraus.
Im Stall blöckte ein Schaf, das wohl gerade Nachwuchs erwartete.
Der Hund hatte ihn schon lange zuvor angekündigt und so erwarteten ihn,
den Krämer, alle gespannt.
Freilich hatte er etwas Wursthaut oder ein Stück Schwarte oder einen Knochen für den Hund -
kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.
Allzuviel ist nicht los in dieser Gegend, nur selten verirrt sich jemand hier herauf,
wo es immer so windig ist.
Ab und an spielte er auf seiner Flöte ein paar selbstgedichtete Moritate -
so erfuhr man früher, was es "in der Welt" an Neuigkeiten gab.
Eine Zeitung gab es noch lange nicht zu kaufen.
Der Weg nach Greifenstein oder Rennerod liegt weiter ab, er,
der Krämer kam mit Lederwaren aus Offenbach,
ging über Weilburg zum Schuster, kaufte in Löhnberg Speck
und wollte diesen eigentlich in Siegen
verkaufen oder gegen Schmiedewaren tauschen.
Etwas Speck wurde er hier in diesem einsamen Haus los - mit einem Kamm und einem Gürtelchen.
Ein kleines Schaf-Fell bekam er dafür und viel Aufmerksamkeit,
eine heiße Suppe und ein Nachtlager.

Die Nächte waren noch kälter als die Tage im Westerwald-
so kam die Suppe am nächsten Morgen gerade recht.
Am eiskalten Brunnen eine kurze Wäsche und die Geister kehren zurück in den Körper,
noch geschwind die Kiepe und den Hut, den Stock packen und weiter gehts des Weges nach Siegen.
Sollte er lieber über Haiger oder Betzdorf gehen,
lieber viele kleinere Orte oder größere Flecken wählen?
Diese freie Frage war sein eigentliches Plaisir, diese Freiheit,
tun und lassen zu können, wo ihm der Sinn nach stand -
oder eher wohin ihn der Druck etwas zu verkaufen - war.
(manchmal war die Entscheidung auch durch den Wunsch eines Kunden geprägt)
Nein, er ging besser durch die Täler über Bad Marienberg nach Betzdorf,
von dort die Sieg entlang, der Frühsommer ist doch zu schön,
um über die steilen Höhen über Haiger, direkt auf Siegen zuzugehen,
sich dem harten Wind auszusetzen, wo es nicht nötig wäre.
Die Waren waren diesmal kaum verderblich - Zeit hatte er.. die Zeit war es,
die sein eigentlicher Luxus war.
Gerade deshalb hatte er dieses Gewerk gesucht und gefunden -
der Drang war nicht sein Ding.
Vermutlich war es das, was ihn zum angenehmen Gesprächspartner machte, ihn,
den Krämer überall gern sehen ließ.

Er wußte aber auch so viele interessante Geschichten, so viel Neues zu erzählen,
er sah und hörte viel auf seinen Touren durch das Land und durch die Orte und Städte,
was brennend von allen Kunden erwartet wurde -
niemals ging es nur ums nackte Geschäft, die Menschlichkeit war hoch angeschrieben,
damals war Zeit noch nicht Geld.
Zumindest für ihn und seinesgleichen Leuten, von denen er etliche unterwegs traf und sich austauschte ..

Es möchte wohl ein halbes Jahr her sein, als er das letztemal hier in dieser Gegend war,
wieviel hatte er zu erzählen aus der alten Reichshauptstadt Wetzlar
mit ihren hochgestochenen Juristen und feinen Höflingen, reichen Kaufleuten, Müllern
und Geldverleihern, dem seltsamen halbfertigen Dom und seinen feinen Geschäften,
Gasthäusern mit goldenen Schildern über den Türeingängen, Glockenspielen -
eiligen Trägern mit feinen Leuten auf dem Tragestuhl, Geschäften mit Schaufenstern!
Er erzählte von den alten engen Gassen, dem Schmutz darin, den Laternen,
den hofartigen Frauen mit ihren kunstvollen Frisuren und Hüten,
die ihre Dienstboten schikanierten und herum befahlen.
Er erzählte von Metzgereien und Bäckereien, Dinge,
die man in den einsamen Dörfern des Westerwaldes nicht kennt.
Er erzählte von den Kutschen der Reichen, von Lakaien, von Häusern käuflicher Liebe,
auch etwas von Revolutionsgerüchten, die man sich an dunklen Stellen der Stadt erzählt.
Außer Ratten laufen im Schatten der Häuser auch seltsame Gestalten herum,
denen man besser aus dem Weg geht.
Er erzählt, wie er von der Torwache in eine Schreibstube mit dicken seifigen Männern mit Siegelringen,
die hinter schweren Schreibtischen hockten und seltsame,
wenig verständliche "Gesetze" rezitierten,
um anhand dieser Zeilen Abgaben zu fordern.
Diese "Gesetze" und "Vorordnungen" und "Edikte" waren freilich die schiere Willkür,
die aber dennoch gegen jeden Bürger und Reisenden durchgesetzt werden -
sonst kamen Soldaten, die diesen Vorschriften Nachdruck verliehen.
Und wieviel vorgeschrieben war- alles und jedes Ding hatte sein Gesetz,
es entging den Mächtigen nichts, nicht der kleinste Handel.
Von diesem Geld lebten ganze "Stände", die wie die vielen Verwaltergrade eingeteilt,
bis zum niederen Adel und dem Hofstaat des Herrscherhauses -
wie die Maden im Speck waren die, richtig fett und dreist.
"Sie säen nicht, aber ernten dennoch"
Mit offenen Mündern hörten die Westerwälder am Tische zu
und schenkten nochmal in den groben Becher ein, der vor dem Krämer stand.
Das bäuerliche Leben im Westerwald war sehr bescheiden,
es hatte feste Regeln, die sich nach der Jahreszeit,
nach den Ernten und Tieren richtete, von denen man lebte.
Viel Zeit für Vergnügungen war nicht gegeben,
ab und zu gab es Hochzeiten oder eines der jahreszeitlichen Kirchenfeste.
Die Form der Unterhaltung oder "Zerstreuung" mit "Reisenden" war immer eine willkommene Abwechslung.
Damals wie heute hat niemand verstanden, was Politik oder Hofart oder Krieg bedeutete -
niemand wußte von den Hintergründen der Fehden verwandter Herrscherhäuser,
schon die Erzählungen darüber ließen schaudern.
Viel an Neuigkeiten konnten die Bewohner des Westerwaldes nicht beitragen,
viel hat sich nicht zugetragen,
außer den üblichen kleinen Ungerechtigkeiten des Schultheißen, die jene Interessen
oder besser Launen der Herren rücksichtslos durchzusetzen wußten.
(Wie Schinderhannes übten Adlige und deren Vasallen Druck aus, pressten alles und jeden.)
Armut macht gläubig, der Herr Pfarrer wird es schon wissen,
wenn er von Sünde spricht und wie man leben muß..
Die Kirche hat schon immer verstanden, den alten Naturglauben für sich zu nutzen
und umzudeuten, als wäre alles aus dem "heiligen Land" entstanden,
was Glauben und Göttlichkeit bedeutet
um den Leuten für diesen Beistand Geld und Gefolgschaft abzuknöpfen,
schlimmer noch, sie bestimmte ganz einfach was zu tun und was zu lassen ist,
bis ins allerkleinste Detail des täglichen Lebens aller Menschen:
Zuerst haben diese raffinierten, schlangenfalschen Machttypen die Fürsten für sich eingenommen,
dann hat der so "geläuterte" Herr Graf seinem Eigentum,
den Menschen im Gebiet, befohlen seinen neuen Glauben sofort anzunehmen..
Mit dem Glauben hatte er, der Krämer, es nicht so sehr- und wenn,
dann neigte er wohl eher dem Jiddischen zu,
die auch so wie er dem Handeln zugetan waren.
Dieses Jiddische war oft auch die Sprache der Händler, besonders die der reisenden Schacherer.
Eine religiöse Zusammenkunft hat er wohl gerne gemieden,
obwohl Devotionalien und Votivgaben zu seinen Gütern zählten, mit denen er handelte.
Man war er Katholik, mal Protestant oder Jude - wie es gerade kam.
Damals durfte niemand etwas gegen die Pfarrer sagen,
auch wenn sie oft genug nur Schmarotzer waren,
die in ihrem institutionalisierten Luftschloß, das jeder "Glauben" ist,
praktisch einen Unangreifbarkeitsstatus erreicht hatten.
Ähnlich wie Amtsleute heute noch, die Gesetze bauen und diese gegen die Menschen richten,
denen sie eigentlich dienen sollten, damit man miteinander besser auskommen mag..
So hat sich recht früh manches unheiliges Ding verselbständigt.. weil keine Korrekturen vorgesehen waren.
(Bis zum heutigen Tage)
Wer handelt, so sagte er sich, hat sich neutral zu verhalten und niemanden zu verprellen -
das kann sich nur ein reicher Herr leisten und diese zählten - wie feine Häuser -
nicht zu seiner Klientel, von denen wurde er höchstens naserümpfend übersehen.

Überall hatten sich die Fürsten vor Zeiten bereits alles unter den Nagel gerissen und "Dynastien" gebildet,
mit den beiden Kirchen verbündet oder verfeindet, eingeheiratet und ständig kleine Kriege geführt,
"Zölle" eingetrieben oder andere Raubrittereien begangen.
Man wußte damals auf der Walz eigentlich nie genau, wessen Grenze man überschritt..
Reich durch -selbst legalisierten- Diebstahl und Piraterie -
die "Wegezoll" genannt wurde - eine seltsame Basis für Vornehmheit!
Er wußte wohl, daß der Vornehme niemals gestohlen hat, sondern einfach Zölle nahm..

Auf die Frage nach seinen Eltern konnte der Krämer eher nur vage Dinge sagen,
die Mutter war wohl nahe dem Stadttor Kölns, das extra für die Zisterziensermönche
mit ihrem schwunghaften Weinhandel des Klosters Ebersbach gebaut wurde,
als einfache Wäscherin in Stellung.
Aus diesen Begegnungen am Rheinufer, wo die Wäscherinnen unweit ihre Laken auswuschen und bleichten,
erwuchs wohl die flüchtige Bekanntschaft mit einem der Brüder
dieses französischen Ordens- genaueres wurde nie bekannt, er,
der Krämer hat seinen Vater nie kennen gelernt.
Eine besonder Begabung oder Neigung hat er nie verspürt,
keine praktische und auch keine künstlerische -
so war das Erlernen des Kaufmannsberufes eine der wenigen Möglichkeiten,
denn Fürsprache hatte er von keinem zu erwarten.
Er war schon früh in der Lehre und wohnte bei seinem Lehrherren,
der dessen Hilfe und Kraft weidlich ausnutzte - der Junge erwies sich als pfiffig
und war beliebt bei der Kundschaft.
Das Schleppen schwerer Sachen- irdene Töpfe aus dem Lager im Keller
in den Verkaufsraum und von dort zur Kundschaft war eine tägliche Notwendigkeit.
Die Warenkunde war ihm bald so geläufig,
daß er sich nach dieser Lehrzeit bald auf Schusters Rappen machte,
beladen mit ein paar preiswerten Waren, die er dem Patron abschwatzte.
Auf dem Markt sah er schon früh die Händler mit ihren seltsamen Gestellen auf dem Rücken.
Dort schaute er sich die Kontruktion ganz genau an und erfragte einige Tricks,
die man gerne weitergab- in jedem Gewerk pflegte man den Nachwuchs.
Danach baute er sich aus alten und weggeworfenen Material-Resten eine eigene Kiepe.
So lud er ein paar Tassen, Gabeln,
Gummiringe, Strick- und Nähnadeln, Illustrationen von Mode oder Kleidung,
die der Lehrherr nicht mehr brauchte, mit kleinen Kalendern und anderen Kram auf Wanderschaft -
mit den Maurern, die heim in den Westerwald strebten.
Von diesen derben Burschen lernte er sich zu behaupten und so zu wandern,
daß man auf Wanderung die Kräfte schonen muß, er lernte,
wie man sich unterwegs ernähren und wo man schlafen kann, wie man sich einen geschmeidigen Hasel-Stock abschneidet
und damit kämpft, wenn es darauf an kommt.
Hundert bis hundertzwanzig Kilometer nach heutiger Berechnung waren schon zurückzulegen,
und wenn man 8 Stunden am Tag ging, ist man ungefähr 25-30 Kilometer weit gekommen,
mit Last nochmal etwas langsamer:
Viele der Arbeiter haben ihren Familien Dinge aus der Stadt mitgenommen,
die daheim fast so sehnsüchtig erwartet wurden, wie sie selber.

Der Krämer ging nicht in die Orte, in die jene Leute abbogen,
sondern lieber dorthin, wo keine Heimkehrer zu erwarten waren -
denn nur so waren überhaupt Waren sinnvoll feil zu bieten.

Lesen und schreiben hatte er in seiner Lehre wohl oder übel erlernen müssen,
wobei nur das Kopfrechnen und das rein kaufmännische Erfassen der Schriften hängen blieb-
mit Büchern hatte er es nicht so, wie viele seiner Landsleute zu dieser Zeit.
Dafür war er für seine wunderbaren Geschichten bekannt und seine fesselnden Erzählungen,
die damals eine der wenigen Unterhaltungen in den einsamen Gehöften waren.
Wie schon erwähnt, waren damals fast alle Leute Bauern, Klein- und Kleinstbauern allemal,
die noch irgendwo ein zusätzliches Gewerk taten, entweder beim Einsammeln von Feldeisensteinen,
die an sogenannten Rennöfen gesammelt wurden und dann in die Schmieden kamen oder im Wald,
wo der Förster Hilfskräfte für harte Pflanz- Rodungs- und Fällarbeiten brauchte.
Der Feldschütz hat arg darauf geachtet,
dass niemand auch nur ein wenig Gras vom Wegrand für seine Geiß
oder Gänse oder Hühner mit nach Hause nahm-
was aber doch und recht heimlich immer wieder gemacht wurde.
Pfarrer und Schultheiße - und so mancher heimliche Verräter -
haben sofort alles angetragen,
was zu harten Strafen führte:
Die Obrigkeitsvertreter haben nicht gerastet noch geruht, um den "Schäfchen"
oder Untertanen zu erklären, was erlaubt ist und was nicht,
wie man "richtig" oder "gottesfürchtig" leben muß.
Entweder gehörte alles Gott im Himmel oder
dem Herren auf dem Allmendehof oder den Herren auf ihrer Burg.

Kleine Leute haben die Butter ihrer Kuh und die Eier ihrer Hühner auf dem Markt verkauft,
sich vom Mund abgezwackt, um ein paar Münzen zu ergattern,
die man zum Tausch brauchte.

Die Freiheit, die wir heute kennen, die gab es damals nicht,
die Menschen waren von früh bis zum späten Abend eingespannt-
mal für die Herren oder Kleriker, mal für eine Kombination aus beidem,
dann für die Familie und ganz zuletzt für sich selbst.
Eigentlich stand man mit dem Vieh auf und ging mit den Hühnern schlafen.

Die Kinder der Landbewohner halfen auf dem Feld mit,
sie taten leichte Handreichungen und standen unter strenger Beobachtung durch die "Geistlichkeit",
die sittenstreng wachte, daß niemand auf "dumme Gedanken" kam.
Die Beichte war Pflicht, wie der regelmäßige Kirchenbesuch, -
"Nachlässigkeiten" wurden mit Geldstrafen -unnachsichtig- geahndet.
Niemandem fiel so mancher Scheinheilige als solcher auf,
dazu war die Kluft zwischen "denen da oben" und "denen da unten" viel zu groß,
die Angst vor deren manchmal recht willkürlichen Strafen allzu bekannt.
So mancher beichtete dem "Hirten" seine "Sünden",
daran wird sich der Herr Pastor hochgezogen haben..

In dieser Zeit also war er, der Krämer, unterwegs auf dem Land,
wo er meistens die Städte mied oder wirklich nur für den Handel zu betreten pflegte.
Zu tief war in ihm die Angst ob seiner Kleidung und seiner Herkunft
oder Bildung verachtet oder gar verlacht zu werden.
Das ging allen Landbewohnern in ähnlicher Weise ebenso, weshalb er-
der Krämer- sich in der Nähe der Kleinbauern sehr viel wohler fühlte.
(Große Bauern waren "Freie" oder Allmendebesitzer,
(als die Almende der Gemeinschaft enteignet worden war)
die man besser mied,
weil sie eng mit dem Fürsten unter einer Decke steckten:
grundsätzlich gehörte alles Land dem Landesherren und mußte gepachtet werden,
als wären die angestammenten Menschen in diesem Gebiet nur Eigentum, nicht mal Gäste..)
Die Zeiten der freien Menschen, die einst die Germanenstämme waren, war schon lange vorbei -
mit Waffengewalt nahmen sich einige was sie wollten und bauten daraus einen Herrschaftsanspruch -bestenfalls mit dem Deckmantel,
die Bevölkerung schützen zu müssen -
vor dem nächsten Despoten ein paar Meilen weiter,
welcher stets und immer wieder seine Herrschaft auszudehnen trachtete..
..man könnte sich dieses Verhältnis wie bei der Zuhälterei vorstellen,
mit dem Unterschied, daß der "Herr" auch gleich seine Gesetze schrieb oder schreiben ließ,
die Mithilfe von verdungen Bütteln durchgepeitscht worden waren.

Schon damals bei seiner Mutter und später bei seinem Lehrherren
interessierte er sich für Sagen und Erzählungen viel mehr, als für "schöngeistige" Dinge
oder für den Katechismus, den jeder lernen mußte.
Für ihn, den Krämer, lag die Göttlichkeit im Aufgang der Sonne,
in den grünen Kathedralen des Hochwaldes und im Ruf des Kuckucks,
nicht in der angstmachenden düsteren, dumpfen und weihrauchigen Gemäuern
der Kirchen mit ihren tönenden Glocken und seltsamen Belehrungen der Prediger
in ihrer weltfremden und wirklichkeitsfernen Art.
Immer, wenn er, der Krämer diesen Geruch wahrnahm, sagte er:
Es riecht nach Pfaffen..
(Das sagte er aber nur zu sich selbst oder zu Mitwanderern, von denen er wußte, wie sie dachten)
Die Wanderbewegung kam erst sehr viel später durch den Bundschuh,
wo auch die erste zarte Gewerkschaftsbewegung entstand, so recht in Schwung,
zu seiner Zeit jedoch war jeder der Reisenden alleine,
wie schon Goethe berichtete, der selbst oft auf Schusters Rappen unterwegs war.

Solche Leute - wie diesen Goethe - hat er nie getroffen, nie gesprochen,
er wäre mit diesen wohl auch nie tiefer ins Gespräch gelangt,
zu arg war die Kluft zwischen arm und reich.
Der "Geheimrat" hatte sich lieber mit seinen wohlhabenden Gönnern umgetan.

Nein, zur sogenannten "Bürgerschaft" (die sowieso nur in größeren Orten zu finden war)
zählte er wahrlich nicht, er mied die Wege,
auf denen die edlen Reiter und die Kutschen rücksichtslos alles zur Seite ermahnten,
was denen im Weg stand.

Viel mehr als einen guten Rat und ein paar gestrickte Strümpfe und Obst
konnten damals die Kinder von ihren Paten nicht erwarten,
die Leute im Westerwald hatten selbst nicht viel -
für sich selbst eher kaum etwas.

Diese "gute alte Zeit" war für ihn Gegenwart und Lebenskampf,
auf dem Land und auf seinen langen Wanderungen von Dorf zu Dorf
eher ein Vergnügen und Freude mit den einfachen,
meist ehrlichen und aufrechten Leuten zu reden und zu verhandeln.

An einen eigenen "Aushalt" oder "Altenteil" oder "Erbschaft" war nicht zu denken,
zumal seine Mutter nicht sehr alt geworden ist, wie viele ihrer Berufsgenossinnen hat
sie schon früh unter Rheuma und argen Erkältungen gelitten.
Er hat sie nach seiner Lehrzeit ganz aus den Augen verloren.
Das Armengrab ist damals sehr vielen Menschen das letzte Bett geworden.
Nicht einmal in den Kirchenbüchern war ihr Tod vermerkt -
manche Gemeinden hatten ein sogenanntes "Armenbuch" in dem solche Todesfälle
vermerkt waren, die meisten wurden stillschweigend begraben.
In den Heirats- Geburten- Konfirmations- und Sterbebüchern der Pfarreien
konnte man noch bis 1990 forschen, heute ist alles digitalisiert und die alten Bände,
die nicht in den vielen vielen großen und kleinen Kriegen und Bränden vernichtet worden sind,
stehen längst hinter Glas in den Kirchenarchiven.
Armengräber hatten keine Grabsteine, geschweige denn Blumen-Anlagen darauf-
sie wurden in einer Ecke des Friedhofs gesammelt und haben buchstäblich zum Himmel gestunken,
wenn man den Ortschroniken glauben darf:
"Die Erde hat so arg ausgedünstet, daß bei manchen Wetterlagen eine bläulicher Dunst
darüber gelegen haben soll.."
dazu kamen die Mengen an Seuchenopfern, die an Thypus, Ruhr und an der Pest gestorben sind
und dann die vielen Opfer der frühen Ärzte und Bader, Messerstechereien,
Überfälle durch Räuber und marodierende Soldaten.
Selbst wohlhabende Frauen sind im Kindbett gestorben.

Also hatte er, der Krämer in seinem Gürtel
sein ganzes geldliches Gut am Körper immer mit dabei -
was die Angst vor Überfällen nicht gerade schmälerte.
Deshalb hat er sich ein Versteck in einer felsigen Gegend ausgesucht,
in der kein Bergbau zu befürchten war, keine Bewirtschaftung und keine Menschen hin kamen.
Er nahm nur soviel mit, wie er zum Handel benötigte.
Banken oder Sparkassen gab es auf dem Land keine und der Geldwechsler
war auch nicht gerade als verläßlich bekannt-
das Risiko über das berühmte Ohr gehauen zu werden,
war täglich über ihm und allen, die jedwelchen Handel betrieben.
Die Taler oder Gulden waren manchesmal gefälscht oder abgerieben,
ein wenig Materialkunde war bei allen Händlern dringend nötig.
Meistens bestanden die Münzen sowieso nur aus kleinen Einheiten,
mit denen seine Kunden haushalten konnten.
Diese waren auch vor Fälschung weitgehend sicher und viel bekannter als Tauschobjekt-
überhaupt war das Tauschen sein Metier, mehr als daß ihm Geld je bedeutet hätte.
Ein Krug Honigwein war allemal gut zu behandeln und einzutauschen - ganz ohne Frage.
Überhaupt war Honig ein wichtiges Zahlungsmittel, genau wie Zucker und Mehl und Salz-
mit diesen Dingen konnte die Hausfrau etwas anfangen -
jeden Tag waren so viele Münder zu stopfen !

Der Krämer handelte mit allen Dingen, die irgendwie in die Kiepe paßten
oder obenauf gepackt werden konnten, wenn diese Dinge nicht zu schwer waren.
Zu einem Wägelchen hat er es nie gebracht,
dieses hätte ihm auch nicht sonderlich dienlich sein können,
auf den engen und zuweilen steilen oder rutschigen Pfaden.

Als er noch stark und kräftig und gut zu Fuß war,
war also die Kiepe auf dem Rücken sein einziger Helfer, bis er eines Tages einen widerspenstigen Esel
für nur einen halben Gulden und 9 Kreuzer angeboten bekam..
Gut, das Tier war nicht mehr ganz jung und - wie gesagt - auch ein wenig störrisch,
aber ein unschätzbarer Helfer bei schwereren Transporten..
Er versprach sich die Sache zu überlegen, ging zu seinem Versteck, immer auf der Hut,
daß ihm nur ja keiner folgte..
So kaufte er sich diesen Begleiter, den er bald zum Freund gewann und sehr gut gebrauchen konnte.

Nun war er, der Krämer, nicht mehr so einsam auf seinen weiten Strecken -
die er niemals beritt, um das Tier nicht sinnlos zu schwächen.
Beide gingen im gleichen lahmen Trab nebeneinander her- ab und an blieb der Esel stehen,
wie das so die Art der Esel ist.
Bald brauchte dieser nicht mehr angetrieben werden, weil er wußte:
Wenn ich Hunger habe oder Durst, darf ich einfach halten und pausieren..
Schnell sind die Beiden wohl nicht voran gekommen, aber zufrieden und gesünder war das jetzt allemal -
für den Krämer und den Esel, der nun keine Peitsche mehr schmecken mußte,
sondern nur noch eingehandelte Rüben und Hafer.

Nach und nach verfeinerte der Krämer sein Angebot, was aber blieb,
war seine Bescheidenheit und sein Ansehen bei den Kunden,
die immer irgendwie die gleichen waren -
die feinen Leute ließ er nun ganz links liegen, des lieben Seelenheils wegen.
Ab und an hat er auch mal ein Zicklein oder ein paar Hühner mitgeführt
oder gar ein Schwein am Esel "angehängt",
wenn das bestellt wurde vom Kunden.
Einmal führte er von einem jiddischen Viehhändler ein Rindvieh in den hohen Taunus,
wo dieses als Zugtier gebraucht wurde.
Ein andermal eine junge, mal eine alte Kuh, mal ein Ziegenbock- wie es gerade kam.
So ein Esel wirkt ausgleichend zwischen Mensch und Tier,
so war der Transport leichter und sicherer zu machen.

Zu Geld ist er wohl nie gekommen und was aus dem Esel geschehen ist,
weiß auch keiner - irgendwann mal ist er einfach nicht mehr gekommen.
Man munkelt, er sei auf steilem Pfad abgerutscht und verunglückt,
andere sagen er sei verhaftet worden,
andere wußten von einem feigen Mord durch marodierende Halunken-Soldaten.
Niemand weiß, ob er ein Versteck hatte und was darin gewesen sein könnte oder gar wo es wäre..
..damals sind die Leute auch nicht so alt geworden
und sie sind an Dingen gestorben, die man heute heilen kann:
Wundbrand, Lungenentzündung, kompliziertere Brüche etc. -
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Der alte Krämer, Fortsetzung

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